Juden und ländliche Gesellschaft in Europa zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit (15.-17. Jahrhundert). Kontinuität und Krise, Inklusion und Exklusion in einer Zeit des Übergangs

Juden und ländliche Gesellschaft in Europa zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit (15.-17. Jahrhundert). Kontinuität und Krise, Inklusion und Exklusion in einer Zeit des Übergangs

Organisatoren
Sonderforschungsbereich (SFB) 600 „Fremdheit und Armut“, Teilprojekt A 7 „Juden auf dem Lande zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit (15.-17. Jahrhundert): Inklusion und Exklusion durch Herrschaften und Gemeinden in ausgewählten Territorien Frankens“ (Sigrid Hirbodian, Universität Tübingen); Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Universität Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.03.2012 - 21.03.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Claudia Steffes-Maus, Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Universität Trier

Die internationale Tagung, zugleich Abschlusstagung des Teilprojektes A 7 im SFB 600, befasste sich in drei Sektionen mit wirtschaftlichen, herrschaftlichen/politischen sowie kulturellen Aspekten der Beziehungen von Juden zur ländlichen Gesellschaft. Der weitläufige Titel trug der Tatsache Rechnung, dass Juden auch im Übergang von Spätmittelalter zu Früher Neuzeit nicht nur auf dem Land, sondern nach Möglichkeit in Städten siedelten, aber den Horizont ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit durch Erschließung neuer Berufs- und Handelsfelder maßgeblich in die Fläche erweiterten. Somit wurde von Beginn an die Frage nach der Gültigkeit und dem Bedeutungsinhalt der Begriffe „ländlich“ und „städtisch“ im Untersuchungszeitraum aufgeworfen. SIGRID HIRBODIAN (Tübingen) wollte ferner die Ergebnisse des von ihr geleiteten Teilprojektes in einem breiteren Kontext vergleichen.

Die 17 Vorträge deckten den Raum vom Westen des Alten Reichs bis nach Polen und Böhmen ab. Überwiegend näherten sich die Referenten dem Thema mit geographisch oder quellenmäßig begrenzten Fallstudien, welche sie in den übergeordneten Rahmen einfügten; vereinzelt wurde ein generalisierender Zugang versucht. Nach den einzelnen Beiträgen nahm die vergleichende Diskussion breiten Raum ein; dies bereicherte auch die Abschlussdiskussion.

ANDREAS GÖLLER (Darmstadt) begann mit der historisch-geographischen Einordnung und Analyse einer Schuldnerliste des frühen 17. Jahrhunderts aus dem Erzstift Trier. Hier herrschte eine komplexe jüdische Siedlungsstruktur, welche Kleinstädte, die zumeist gleichzeitig Gerichtsorte waren, mit ein bis zwei ansässigen jüdischen Familien mit einschloss. Am Beispiel zweier Koblenzer Juden konnte Göller herausarbeiten, wie in der Stadt ansässige Unternehmer sich flächendeckend die ländlichen Gebiete des Erzstiftes erschlossen und dort teils jahrzehntelange Geschäftsbeziehungen pflegten. Das ländliche Judentum der kleineren Orte ist indes im Untersuchungszeitraum nicht quellenmäßig fassbar.

Den Wandel in der wirtschaftlichen Tätigkeit von Juden in der ländlichen Gesellschaft des Königreichs Polen stellte HANNA WȨGRZYNEK (Warschau) dar. Ein Viertel der Juden lebte dort zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf dem Lande, neben den westlichen polnischen Kronländern vor allem in der Ukraine. Hier pachteten Juden im 16./17. Jahrhundert Land von Adligen und übernahmen neben der Geldleihe wichtige Funktionen bei Ländereienverwaltung und Steuererhebung. Sie waren in das kulturelle und wirtschaftliche Leben eingebunden. Besondere Bedeutung erlangten Juden als Pächter von Tavernen, welche Umschlagplatz für Viehhandel und Gemüseverkauf waren. Die ökonomische Krise in der Mitte des 17. Jahrhunderts markierte einen Wendepunkt hin zu judenfeindlicheren Haltungen.

Die Beziehungen der Prager Juden zum Umland, der heutigen Region Mittelböhmen, arbeitete MARIE BUŇATOVÁ (Prag) auf. Als Siedlungsort trat außer Prag das fünf Kilometer entfernte Lieben hervor. Neben dem Krämerhandel vertrieben Juden Kerzen, Vieh und Fleisch. Die jüdische Kreditvergabe als Geschäftsschwerpunkt spielte insbesondere für die niederen und mittleren Adligen der Region eine wichtige Rolle. Verträge wurden auf deren Dominien abgewickelt und dienten unter anderem dem Erwerb von Dörfern. In die administrative Abwicklung der Geschäfte wurden Juden als Unterhändler involviert. Die Prager Juden waren wichtige Akteure auf den regionalen Märkten und sicherten die Lebensmittelversorgung der Metropole.

SABINE ULLMANN (Eichstätt) analysierte die Funktion jüdisch-christlicher Kreditnetze als soziale Handlungsräume, die bislang, auch aufgrund der spezifischen Quellenüberlieferung, ohne Berücksichtigung der gesamten Kreditvergabestruktur in Dorf und Region betrachtet wurde. In Dörfern der Grafschaft Oettingen quantifizierte Ullmann den jüdischen Anteil am Gesamtkreditvolumen auf 18 Prozent, was Untersuchungsergebnissen zum Elsass entspricht. Auch sie konnte langjährige, redundierende Geschäftsbeziehungen nachweisen. In sozialer Dimension zeigte sich eine gute Einbindung der jüdischen Kreditgeber in die dörflichen Netze; es entstanden feste Beziehungen, die über die Grenzen des Dorfes hinausgehen konnten und dabei facettenreich und individuell geprägt waren.

WOLFGANG TREUE (Duisburg-Essen) eröffnete die zweite Sektion mit einer Untersuchung der Judenpolitik in der Grafschaft Hanau-Münzenberg, einem zersplitterten Territorium mit vielen, kurzlebigen Regierungen. Hier verdichtete sich der Wechsel in der gräflichen Judenpolitik von 1574 bis 1603 augenfällig: Nach der Gewährung von Niederlassungsrechten an Juden machten die Grafen unter dem Eindruck dynastischer Auseinandersetzungen eine Kehrtwende hin zu einer Politik der Judenaustreibung, die auch jüdischen Widerstand hervorrief. Schließlich kehrten die Grafen, nun geleitet durch merkantilistische Interessen, zu einer Ansiedlungspolitik in Hanau selbst zurück. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts wuchs die dortige Gemeinde auf 70 Haushalte an.

TORBEN STRETZ (Trier) beleuchtete mit Hilfe fränkischer Beispiele die Situation von Juden in dörflichen Kondominien. Herrschaftliche Konflikte nutzten Schutzjuden aktiv für sich und wichen Vertreibungsversuchen aus. Unterschiedliche Supplikationsmöglichkeiten bei verschiedenen Herrschern ermöglichten ihnen den Erhalt von gemeindlichen Einrichtungen und Privilegien. Die Herren sahen das Judenregal als Ausdruck ihrer Reichsunmittelbarkeit, weshalb sie an seiner Ausübung festhielten. Rechtsstreitigkeiten wurden indes auch unabhängig von der Anwesenheit von Juden geführt. Für Juden in den Kondominien wurde die Lage dann riskant, wenn die unterschiedlichen Herren sich in judenfeindlichen Aktionen zu übertreffen versuchten. Hierin spiegelten sich Auseinandersetzungen um die Reichweite herrschaftlichen Einflusses, deren Opfer die Juden dann wurden.

Mit einem Überblick über die wechselvolle Forschungsgeschichte zu Ständen und Juden im 20. Jahrhundert begann STEPHAN LAUX (Düsseldorf) seine Ausführungen. Die soziale Reichweite des Ständewesens wollte er durch eine reichsweite Analyse des Judengeleits seit dem Spätmittelalter bis 1750 vermessen. Übergeordnete politische Gründe führten im Kontext der Ständeversammlung zu Judenvertreibungen. Reformation und Humanismus nahmen auf personaler Ebene Einfluss. Der Anteil der Juden an der Aushandlung der Rechtsnormen ist indes nicht feststellbar. Die Beschäftigung mit korporativer Judenfeindschaft hilft, die Motive ihrer Akteure zu ermitteln. Demonstrative Überhöhung billigte Beschwerden einen übergreifenden Stellenwert zu; dies führte zur Verbreitung und Stabilisierung von antijüdischen Stereotypen in der Bevölkerung.

STEFAN LANG (Ulm) arbeitete den Antagonismus zwischen den schwäbischen Rittern und dem Herzogtum Württemberg im Konflikt um die Reichsunmittelbarkeit heraus. Die Ansiedlung von Juden durch Ritter spielte dabei seit 1520 eine Rolle. Ausweisungen einzelner Ritter konnten Juden durch Aufnahmen in unmittelbarer Nachbarschaft kompensieren. Agrarkrisen um 1550 bewirkten eine Verschärfung der Beschwerden gegen Juden. Dies führte 1559 zum ersten kollektiven Judenprivileg einer Reichsritterschaft überhaupt. Juden und Ritter profitierten von diesen Schutzverhältnissen: Letztere erlangten neben Krediten auch Luxusgüter aus dem Fernhandel. Erstere fanden am Reichsrecht orientierte, günstige ökonomische Bedingungen vor, die eine Siedlungskontinuität bis 1803 ermöglichten.

Die Juden der reichsunmittelbaren, reichsritterschaftlichen Ganerbschaft Buseckertal, deren Status von der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt stets bestritten wurde, behandelte FRIEDRICH BATTENBERG (Darmstadt). Die Steuereinnahmen der seit Ende des 16. Jahrhunderts eingewanderten Juden waren für die Ganerben unverzichtbar. Den Streit um diese Steuern entschieden die Landgrafen indes für sich. In Prozessen waren Juden anderen Untertanen gleichgestellt. Ständige Auseinandersetzungen gab es um die Allmendenutzung. Sie beförderten auch antijüdische Reaktionen in der Bevölkerung. Die Juden wurden dennoch nicht aus der Allmende ausgeschlossen. Unklare Zuständigkeiten eröffneten ihnen Freiräume, in denen sie zu Wohlstand kamen. Mit der Integration der Ganerbschaft in die Landgrafschaft Mitte des 18. Jahrhunderts verloren sie indes auch ihre Sonderstellung.

BARBARA STAUDINGER (Wien) betrachtete die Reichshofratsprozesse unter Beteiligung von „Landjuden“, die vor allem zwischen 1559 und 1670 geführt wurden. Korporative Klagen von Judenschaften forderten kaiserlichen Schutz vor Vertreibungen oder bei Verletzung von Geleiten und Privilegien ein. Sie ermöglichten eine bessere Durchsetzung jüdischer Interessen auf Reichsebene. Einzelpersonen klagten meist in Schuldprozessen, doch nur, wenn sie ein gewisses Renommée und Vermögen besaßen. Es waren Mitglieder der Oberschicht, die neben dem Wohnsitz auf dem Land einen weiteren in der Stadt hatten. Staudinger verwarf auf die Frage, was „Landjuden“ seien, eine geographische Definition zu Gunsten einer politischen: Landjudenschaften seien korporative Organisationen der Landjuden.

Die letzte Sektion eröffnete ROTRAUD RIES (Würzburg) mit der Frage, inwiefern sich am Beispiel Unterfrankens ein kulturelles System des Landjudentums aufzeigen lässt. Sie analysierte den Weg der Juden nach den mittelalterlichen Vertreibungen über urbane Zwischenstufen auf das Land, wo es jedoch, aufgrund der instabilen Judenpolitik, kaum Siedlungskontinuität gab. Bis ins 19. Jahrhundert besaßen Friedhöfe überregionale Bedeutung, drei Rabbiner hatten zum Schluss das Gebiet unter sich aufgeteilt. Gemeinden konzentrierten sich im Maindreieck. Die schwierige Siedlungssituation brachte eine relative soziale Distanz mit sich. Kultureller Austausch erfolgte aufgrund der hohen beruflichen Mobilität und der Tätigkeit der Rabbiner. Der Minhag bestimmte die religiöse Identität der Landjuden. Wirtschaftlich betätigten sich jüdische Familienbetriebe im Vieh- sowie im Stoff- und Textilhandel. Juden lebten in selbstverantwortlicher, unverbrüchlicher Solidarität in sozialen Gemeinschaften von relevanter, aber dennoch überschaubarer Größe.

BIRGIT KLEIN (Heidelberg) beleuchtete die innerjüdische Gemeinde- und Regionalorganisation der Frühen Neuzeit insbesondere am Beispiel der „medinat kolonia“, die dem Kurfürstentum Köln entsprochen hat. Dieser schon im 15. Jahrhundert nachweisbare Verbund wurde kollektiv von Juden der alteingesessenen Gemeinden geleitet. Sie legten die Steuerleistungen aller kurkölnischen Juden fest und traten gegen Vertreibungsversuche ein. Im religiösen Selbstverständnis bildete die „medinat kolonia“ die korporative heilige Gemeinde des Landes Köln. Eine Identifizierung der Juden nach einzelnen Orten fand laut Klein nicht mehr statt; das Gebiet ersetzte den Ort.

Ob Synagogenausstattungen Aussagen über die soziale Struktur jüdischer Gemeinden zulassen, beschäftigte ANNETTE WEBER (Heidelberg). Für die frühen Jahre arbeitete sie mittels illuminierter Haggadot des 15. Jahrhunderts die Vertreibungsthematik als prägendes Element heraus. Jüdische Gemeindeidentität teilte sich später besonders über die textile Ausstattung, speziell die individuell gestalteten Torawimpel mit. Diese wurden auch von armen Juden gespendet und so zum Zeichen gemeindlicher Zugehörigkeit. Reiche Juden investierten in ihren Heimatgemeinden in die Synagogenausstattung. Weber hinterfragte das Miteinander und den Zusammenhalt in der Gemeinde angesichts des unterschiedlichen Niveaus der überlieferten Ausstattung. Wurden ärmlichere Gegenstände wochentags, reichere am Schabbat verwendet? Dienten teure Gegenstände der Selbstdarstellung ihrer Spender?

YACOV GUGGENHEIM (Jerusalem) suchte in den Schriften Jochanan Lurias nach einem „religiösen Profil“ des atomisierten Landjudentums im 15. Jahrhundert und fand keines: War es noch nicht ausgebildet, waren die Aufzeichner der Responsen in diesem Punkte nicht sensibel, oder fehlt bislang der richtige Interpretationsansatz für die Quellen? Angesichts der Probleme bei der Erfüllung elementarster religiöser und ritueller Vorgaben in Ermangelung von Synagoge, Schule und Gemeinde kam es zur Adaptation christlicher Gewohnheiten. So verfocht Luria eine wöchentliche rabbinische Predigt und die Verpflichtung eines jeden Rabbiners zur Lehre.

Die Responsen Rabbi Yair Hayyim Bacharachs (1638-1702) durchforstete DEBRA KAPLAN (New York) nach Hinweisen zu jüdischem Alltagsleben auf dem Lande. Dörfer boten zum Beispiel für einen Schlachter einen Anreiz als Absatzmarkt, stellten ihn bei Nichterreichbarkeit eines Rabbiners aber vor Probleme der Reinheit sowie bei der Segnung des Fleisches. Bacharach indes wies rituelle Erleichterungen zugunsten wirtschaftlicher Aspekte zurück und bewertete jüdisches Leben auf dem Lande grundsätzlich als suboptimal.

NATHANJA HÜTTENMEISTER (Essen) stellte auf Grundlage der Datenbank DARIAH-DE jüdische Friedhöfe der Frühen Neuzeit vor. Da kaum Grabsteine der Zeit vor 1600 überliefert sind, arbeitete sie mit Rückschlüssen aus späteren Befunden. In Süddeutschland entstanden damals Verbandsfriedhöfe, die jedoch von jüdischer Seite nicht immer Zuspruch fanden. Jeder Friedhof entwickelte seinen individuellen Bestattungsstil, beispielsweise nach sozialer Gruppenzugehörigkeit. Grabsteine wurden oft von christlichen Steinmetzen hergestellt. Selbst gemachte Steine besaßen auf dem Lande einen uniformeren Charakter als in der Stadt. Der frühe Usus, Grabsteine mit dem Namen des Herkunftsortes zu überschreiben, verlor sich später.

Im letzten Tagungsbeitrag lieferte ELISABETH SINGER (Veitshöchheim) einen Werkstattbericht zur Erschließung der Genizafunde in fränkischen Landsynagogen. Dieses Genizaprojekt läuft seit 1998 mit Sitz in Veitshöchheim. Inhaltliche Analysen stehen bislang aufgrund des Umfangs und der zeitraubenden Zuordnung der Funde aus. Unter dem Stichwort „Kulturtransfer“ präsentierte Singer eine Karte der insgesamt 40 identifizierten Druckorte, von denen neun bereits im 16. Jahrhundert belegt sind. Ältestes Fundstück ist ein venezianischer Talmud von 1521; in mehreren Genizot wurde der Sefer Brant Spigl (1602) gefunden. Andere frühe Werke sind der Toldot Yitzak, Pirge Avot oder der Sefer Seda la-derekhi, der konkret dem Hofjudentum in Bayreuth zugeordnet werden konnte.

Die schon in der Einführung zur Tagung beklagten Forschungslücken in der Zeit des mit einem Shift in der jüdischen Siedlungsstruktur verbundenen Übergangs vom „Judenregal“ an kleine und kleinste Herrschaften traten in vielen Einzelvorträgen erneut klar hervor. Der hohe Anteil an Fallstudien verdeutlichte, dass es nach wie vor an maßgeblicher Grundlagenforschung zu den von Juden besiedelten Regionen im Untersuchungszeitraum mangelt, dass aber auch die Quellenlage in dieser Epoche, ehe die Archive der kleinen und kleinsten Herrschaften das aus dem Spätmittelalter bekannte Niveau größerer Herrschaftseinheiten erreichten, eine lückenlose, gar quantifizierende Aufarbeitung jüdischer Geschichte bis auf weiteres unmöglich macht. Daraus resultierte die Notwendigkeit, häufig auf das 18. oder gar 19. Jahrhundert ausgreifen zu müssen, um durch Rückschlüsse Mutmaßungen über die frühneuzeitlichen Verhältnisse zu äußern. Ob eine solche Vorgehensweise zulässig ist, bleibt fragwürdig. Vielleicht sollte man, wie Guggenheim es in der Abschlussdiskussion vorschlug, verstärkt auf europäischer Ebene nach Kontinuität, Diskontinuität, aber auch Neokontinuität vom 11. bis zum 19. Jahrhundert suchen. Einen wichtigen Impuls gab ferner ROLF KIESSLING (Augsburg), der statt der Dichotomie „Stadt-Land“ für die Verwendung des Begriffs „Urbanität“ plädierte, um urbane Elemente und Infrastruktur zu unterschiedlichen Zeiten in verschiedenen Siedlungsformen greifbar zu machen.

Konferenzübersicht:

Sigrid Hirbodian (Tübingen): Begrüßung und Einleitung

Sektion I: Wirtschaftliche Aspekte

Moderation: Christoph Cluse / Christian Jörg (Trier)

Andreas Göller (Darmstadt): Eine Schuldnerliste von 1621/22: Stadt-Land-Beziehungen im zeitgenössischen Handel

Hanna Wȩgrzynek (Warschau): The Role of Jews in the Economic Life of the Polish Countryside – the Process of Change in the 15th through 17th Centuries

Marie Buňatová (Prag): Beziehungen der Prager Juden zur ländlichen Gesellschaft in Böhmen 1577-1620. Handelskontakte der Prager Juden mit den Besitzern der Dominien in Mittelböhmen

Sabine Ullmann (Eichstätt): Jüdisch-christliche Kreditnetze als soziale Handlungsräume in der ländlichen Gesellschaft während des 17. und 18. Jahrhunderts

Sektion II: Herrschaftliche und politische Aspekte

Moderation: Alfred Haverkamp / Friedhelm Burgard (Trier)

Wolfgang Treue (Duisburg-Essen): Komplexität auf kleinem Raum. Judenpolitik in der Grafschaft Hanau

Torben Stretz (Trier): Kondominate und ihre Bedeutung für jüdisches Siedeln und Leben anhand fränkischer Beispiele

Stephan Laux (Düsseldorf): Mechanismen und Konsequenzen ständisch-korporativer Judenfeindschaft in der Frühen Neuzeit (15.-18. Jahrhundert)

Stefan Lang (Ulm): Die schwäbische Reichsritterschaft und die Juden

Friedrich Battenberg (Darmstadt): Die Juden der Ganerbschaft Buseckertal zwischen Territorium und Reich

Barbara Staudinger (Wien): An den Obersten Schutzherrn der Juden. Landjuden am Reichshofrat im 16. und 17. Jahrhundert

Sektion III: Kulturelle Aspekte

Moderation: Martin Przybilski (Trier), Rotraud Ries (Würzburg)

Rotraud Ries (Würzburg): Landjudentum als kulturelles System? Beobachtungen aus Unterfranken

Birgit Klein (Heidelberg): Gemeinde- und Regionalorganisation der Juden im 16. und 17. Jahrhundert: „medinat kolonia“ und „medinat ris“ im Vergleich

Annette Weber (Heidelberg): Arm und Reich in der Synagoge: Zur Bedeutung von Synagogenausstattungen als Sinnbilder sozialer Verpflichtung

Yacov Guggenheim (Jerusalem): Gibt es schon im 15. Jahrhundert ein „religiöses Profil“ des Landjudentums?

Debra Kaplan (New York): Rural Jewry as Seen Through the Lens of Rabbinic Responsa: The Example of Yair Hayyim Bacharach

Nathanja Hüttenmeister (Essen): Jüdische Friedhöfe in der Frühen Neuzeit

Elisabeth Singer (Veitshöchheim): Jiddische und hebräische Drucke des 16./17. Jahrhunderts in unter- und oberfränkischen Genizot

Abschlussdiskussion

Moderation: Sigrid Hirbodian (Tübingen)